Der Wecker klingelt, es ist 9:20 Uhr. Normalerweise schlafe ich bis 10, doch ich gewöhne mir an, früher aufzustehen, um vor 10 zu frühstücken. Klappt bisher ganz gut, musste mich nur einmal davon übergeben in den letzten Tagen, seit ich das mache.
Müde lange ich nach dem Handy, schalte den Wecker aus und denke: Es kann doch noch gar nicht so spät sein. Ich bin eben erst eingeschlafen. Drehe mich auf den Rücken und versuche, meine Augen aufzukriegen, die schwer wie Blei sind. Vor lauter Müdigkeit. Soll ich noch liegen bleiben? Das Frühstück sausen lassen? Und das Mittagessen am Besten gleich mit? Nein. Ich zwinge mich aufzustehen, lustlos und unmotiviert, aber immerhin. Es ist recht dunkel und es regnet. Bestes Wetter, um wach zu werden - nicht. Ich schlurfe Richtung Bad, stelle mein Wasserglas in der Küche ab. Erledige meine Morgenroutine und stelle mich auf die Waage. Gestern waren es 78,3 Kilo. Heute sind es wieder mehr. Frustriert kicke ich die Waage unter das Waschbecken und starre böse auf mein Spiegelbild. Kann förmlich sehen, wie es mich auslacht und mir entgegenschreit: "Fette Versagerin! Du bringst es sowieso nie zu etwas! Sieh dich nur mal an, alles schwabbelt und hängt! Und du bist stolz, auf das bisschen, das du abgenommen hast, in diesem halben Jahr? Andere schaffen soviel in einem Monat, fette Sau!"
Ich denke: Ja, ich weiß. Ich weiß, dass ich es nicht schaffe und ich weiß, dass ich langsam und schwach bin. Und dass ich es zu nichts bringe. Eigentlich sollte ich die beste Zeit meines Lebens haben, arbeiten, mich mit Freunden treffen, an Familienplanung denken, schön sein. Stattdessen bin ich fett und hässlich, zu schlecht, um eine Arbeit zu kriegen. Ohne Freunde, weil ich nicht rausgehen will, weil ich weiß, ich verbock's eh wieder. Familienplanung? Drauf geschissen, ich will keinem Kind so eine Person als Mutter antun. Das Wichtigste in meinem Leben ist das Abnehmen. Und nicht einmal das kriege ich richtig hin. Loser.
Schnell verschwinde ich aus dem Badezimmer und gehe in die Küche. Mache mein Wasserglas voll und lege eine Scheibe Vollkorntoast in den Toaster, hole Käse und Lätta raus. Eigentlich sollte ich das ja gar nicht essen. Jemand so Fettes sollte eigentlich gar nichts essen. Als der Toast fertig ist, will ich ihn am liebsten in den Müll werfen, denke dann aber daran, dass Frühstück den Stoffwechsel ankurbelt also würge ich ihn mir runter, fühle mich aber schuldig, weil ich ja eigentlich gar keinen Hunger habe und trotzdem esse.
Eine halbe Stunde später werde ich von Unterleibsschmerzen gequält, so stark, dass ich kaum aufrecht sitzen kann. Scheiß Tage. Also werde ich Sport heute auch nicht hinkriegen. Ganz hervorragend. Wütend trete ich gegen das Sofa, dann kommen die Tränen und ich lasse mich heulend auf dieses sinken. Ich kann aber auch gar nichts. Mein Blick wandert zu dem Täschchen, in dem ich meine Klinge verstecke. Der Drang, sie zu benutzen wird stark, fast unaushaltbar. Aber ich wende den Blick ab, hab's doch grade erst wieder geschafft, loszukommen. Mit zitternden Händen hole ich meine Zeichensachen hervor, ich muss sowieso noch mein Bild fertig machen. Atme mehrmals durch, bis ich einigermaßen ruhig bin und zwinge mich, zu malen, auch wenn ich gar keine Lust habe. Nach einer halben Stunde lasse ich es sein, räume alles zurück. Mache den PC an.
Ich kanns kaum erwarten, bis der Tag vorbei ist.
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